Ein Herz und eine Seele – derber Humor aus den Siebzigern

„Das ist Punsch, du dusselige Kuh! … Punsch, Punsch, Punsch!“ – einer von Alfred Tetzlaffs bekanntesten Wutausbrüchen, die jedes Jahr mit traditioneller Wiederholung der Silvesterfolge von Ein Herz und eine Seele ausgestrahlt werden. Und nach über vierzig Jahren noch immer für Lacher sorgen. Daneben gibt es mit der Rosenmontagsfolge und dem „Besuch aus der Ostzone“ zum 3. Oktober zwei weitere Folgen, die regelmäßig wiederholt werden. Will man auch die restlichen 24 Episoden der von 1973 bis 1976 produzierten Fernsehserie noch einmal erleben, bietet sich der Kauf der DVD-Komplettbox an, um die volle Dröhnung Siebziger durch eine der ungewöhnlichsten deutschen Fernsehserien zu erfahren. Ein ungehobeltes Stück Fernsehgeschichte, das heute in dieser Form kaum noch machbar wäre. Und viel mehr verdient als ein paar über das Jahr verteilte  Wiederholungen.

Ein Herz und eine Seele - TV-Geschichte aus den Siebzigern

Ein Herz und eine Seele – TV-Geschichte aus den Siebzigern

„Ekel Alfred“ – worum ging’s nochmal?

Anfang der Siebziger in einer Bochumer Reihenhaussiedlung. Hier trifft man Alfred Tetzlaff. Einen von der Körpergröße eher knapp ausgefallenen Endvierziger, der als reaktionärer Dauernörgler und Hobbytyrann seine Position als Familien­oberhaupt feiert. Seine treudoof mimende Ehefrau Else nimmt ihre Rolle als devote und plappernde Hausfrau widerspruchslos hin. Und die meist knapp bekleidete Tochter Rita, die zusammen mit ihrem Sozi-Ehemann Michael unter Alfreds Dach lebt, sorgt mit ihrer kessen und aufmüpfigen Art für allerlei verbalen Schlagabtausch. Die jeweiligen Episoden der Fernsehserie widmen sich jeweils einem geläufigen Thema als Rahmenhandlung, in der Familie Tetzlaffs Alltag porträtiert wird. Sie handeln unter anderem vom kaputten Fernseher, Silberhochzeit, Urlaubs­vorbereitungen sowie Else als unfreiwilliger Ladendiebin – und Alfred als ebensolcher Sittenstrolch. Roter Faden der Serie sind Alfreds monologhaft gehaltene Küchenweisheiten, die neben Sozis, Gastarbeitern, Juden und Frauen alles verunglimpfen, was Alfred gerade in den Sinn kommt.

Nowottny ist ja auch ein typisch deutscher Name. Rabottny, Leschinsky, Katapulski – Leute, die so heißen, stammen alle aus dem Schwarzwald.

Alfred über Podgorny, meinte aber Friedrich Nowottny

Und wenn er nicht gerade herumlästert oder von seiner Zeit in der Wehrmacht schwärmt, dann liest er Bild-Zeitung, schneidet sich am Küchentisch die Fußnägel oder steckt die Füße behelfsmäßig zum Kühlen in die Kartoffelschüssel. Seine ungehemmte Ausdrucksweise, die auch Obszönitäten wie „Scheiße“ und „Arschloch“ regelmäßig aus seinem Munde entweichen lässt, war fürs bürgerliche TV der Siebziger Neuland und brachte dem Sender erstmal säckeweise Protestbriefe ins Haus. „Scheiße sagt man nicht“ – musste man sich als Kind der Siebziger oftmals anhören. Die Frage nach dem Warum blieb allerdings immer unbeantwortet. Neben Raubein Alfred und seiner Sippe als Hauptfiguren existiert noch eine Handvoll Nebenfiguren, die allesamt auch durch prägnante Namenswahl auffallen: Da ist zum Beispiel „Rübensahm“, der Besitzer eines Tante-Emma-Ladens. Alfreds einziger Kumpel „Koslowski“ und die ominöse „Frau Suhrbier“, die als Running-Gag zwar oft erwähnt wird, aber nie wirklich zu sehen ist.

Minimalismus – in Tateinheit mit Qualität

Produziert wurde sie Serie vor Studiopublikum auf einer Kulissenbühne, was beim TV-Zuschauer den Eindruck erweckte, sie wäre im Theater aufgenommen. Dieses Format, ähnlich dem Kammerspiel, hatte damals bereits große Ähnlichkeit mit dem, was als amerikanische „Sitcom“ ab den späten Achtzigern zu uns herüberschwappte. So bestand auch hier die Kulisse nur aus wenigen Handlungsplätzen. Fokussierte meist die Küche, das tetzlaffsche Wohnzimmer oder die anrufbare Telefonzelle vor dem Haus. Dieser Minimalismus des Rahmens war im TV der Siebziger Usus. Es gab ja nur drei Programme, keine Privatsender und nicht den Wettbewerbsdruck wie heute – somit auch wenig Anlass, schlechtes TV durch opulente Kulissen, ein Orchester oder zig Kamerapositionen aufzuwerten. Diese Reduzierung auf das Wesentliche, wie es im Theater üblich ist, umfasste bei einigen Folgen selbst die Handlung, wo ein einziges Thema an einem Ort chronologisch abgearbeitet wurde. So dass man hier auch von der Erfüllung der drei Aristotelischen Einheiten sprechen konnte, der Einheit von Raum, Zeit und Handlung.

Immerhin esse ich mit Messer und Gabel. Wenn so ein Türke hierher käme, der wüsste doch gar nicht was das ist. Wenn der Besteck sieht, dann denkt der doch, das hat der Arzt hier vergessen.

Alfred über Gastarbeiter

Bei einer über vierzig Jahre alten Serie schwingt natürlich auch immer eine gute Portion Nostalgie mit, die einen ein Wiedersehen mit längst ausgestorbener Inneneinrichtung, Kleidung und Utensilien vergangener Epochen beschert. Man fragt sich sogar kurz, ob öffentliche Telefonzellen damals wirklich anrufbar waren. Waren sie tatsächlich. Ist man ein Kind der späten Siebziger, erinnert man sich auch, dass Küche und Wohnzimmer oft genau so wie bei den Tetzlaffs ausgesehen haben. Fast alle Holzmöbel hatten diese beige Lackierung. Polster und Vorhänge waren mit Blümchenmustern überfrachtet, Stehlampen sahen aus wie Tannenbäume und von den gruseligen Tapeten fangen wir besser erst gar nicht an. Dazu muss erwähnt werden, dass die tetzlaffsche Inneneinrichtung den damaligen bürgerlichen Geschmack widerspiegelte und alles andere als modern galt. Lustige Randnotiz: Der moderne Geschmack der Siebziger mit froschgrünen Plastikstühlen, kackbraunen Teppichen, orangen Deckenlampen und LSD-Tapenten war auch nicht wirklich besser.

Fazit: Alfred – ein polarisierendes Glanzstück

Die große Errungenschaft von „Ein Herz und eine Seele“ war nicht nur die Reduktion auf das Wesentliche. Minimalismus allein ist schließlich noch kein Qualitätsmerkmal. Sorgt aber dafür, dass – sofern Qualität und Substanz im Schauspiel vorhanden ist – man sich als Zuschauer darauf auch ohne unnötige Ablenkung einlassen kann. Und hier kommen die Figuren mit ihren Dialogen ins Spiel, die allesamt von vortrefflich besetzten Darstellern gespielt wurden. Auch wenn Drehbuchautor Wolfgang Menge die Serie nach britischem Vorbild „Till Death Us Do Part“ erschuf und vieles übernahm, machte die Entscheidung für Heinz Schubert als Darsteller für Alfred die Serie zu einem Unikum. Alleine die verblüffende Ähnlichkeit zum „böhmischen Gefreiten“ – in Unterhemd und Hosenträgern. Dazu die holzhammerhaft vorgetragenen Peinlichkeiten, die eine Mischung aus Entsetzen, Fremdscham und Belustigung auslösten. Dargestellt durch einzigartige Gestik und Mimik. Das alles erschuf etwas Einzigartiges und Vielschichtiges, das man kaum in eine Schublade stecken konnte. Es heißt, zuerst war Harald Juhnke für die Rolle im Gespräch – der hatte aber abgelehnt, da er keinen Proleten spielen wollte.

Heute ist es ja erlaubt. Wenn einer seinen Einberufungsbefehl kriegt, und der hat keine Lust, dann geht er hin und sagt: Hören Sie mal zu, mich interessiert das alles nicht. Ich möchte lieber gammeln und kleine Pi-Pi-Mädchen vernaschen!

Alfred über Wehrdienstverweigerer

Trotz der Schmähbriefe einiger Zuschauer, die sich aufregten, dass ein unmanierliches Subjekt wie Alfred Tetzlaff plötzlich als Hauptfigur im Fernsehen herumläuft, wurde gerade er schnell zur Kultfigur. Er polarisierte die Zuschauer wie kein anderer, man verehrte oder hasste ihn. Wobei der Stein des Anstoßes weniger die Inhalte waren, die Alfreds despektierlichen Lippen entwichen, sondern viel mehr die vorgetragene Form. Heute wäre es vermutlich genau umgekehrt, käme ein TV-Sender auf die brandgefährliche Schnapsidee, ein modernes Remake dieser Serie zu produzieren. Politische Korrektheit war in den Siebzigern eben noch kein Schlagwort. Und hätte jemand Alfred von der Idee erzählt, dass in nicht allzu ferner Zukunft jegliche Ausdrücke und Handlungen vermieden werden müssen, die Gruppen oder Individuen in irgendeiner Form kränken, beleidigen oder emotional aufstoßen lassen könnten, hätte er ihn entweder als dämlichen Anarchisten oder Leihgabe vom Kalmücken-Fernsehen betitelt.

Autorenbild

Autor: Dirk

Als Kind der späten Siebziger schreibt Dirk über all die Dinge, die sich in den letzten 30 Jahren für ihn verändert haben. Dabei kramt er nicht nur alte Computer- und Videospiele wieder hervor, sondern untersucht auch die alltäglichen Dinge des Daseins. Seine zentrale Frage beschäftigt sich damit, warum gewisse Dinge der Kindheit und Jugend später einen besonderen Status erhalten.

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