Blauer Dunst im Wandel der Zeit – als die Kippe noch cool war

Kaum eine andere Angewohnheit hat sich im gesellschaftlichen Stimmungsbild der letzten Jahrzehnte so stark gewandelt wie das Rauchen. Während noch in den Achtzigern Rauchen salonfähig war, in TV-Shows hemmungslos gequalmt wurde, ist heute eher das Gegenteil der Fall: Kippen sind verpönt. Der Zigarettenkonsum hat sich seit 1990 halbiert, und der Trend geht eher nach unten als nach oben. Zeit für eine Retrospektive zu Glimmstängeln, vollen Aschenbechern und mechanischen Zigarettenautomaten, in denen prinzipiell das zweite Geldstück hängenblieb.

Zigarettenautomat in den Achtzigern

Zigarettenautomat in den Achtzigern

Rauchen im alten Deutschland

In Deutschland wurde 1954 der erste Zigarettenautomat aufgestellt. Dreißig Jahre später gab es an fast jeder Straßenecke so einen beigen Klotz. Als Kind hat man sich daran nicht gestört, wusste auch nicht viel damit anzufangen. Dabei war man überall dem blauen Dunst ausgeliefert: im Restaurant, im Raucherabteil der Bahn und selbst im Schuhladen standen große Aschenbecher herum. In den Sechzigern war Rauchen sogar im hinteren Abteil einiger Linien der Bremer Straßenbahn erlaubt. Befremdlicherweise ließen sich Kinderwagen auch nur dort parken, weil das eigentliche Abteil zu klein war. Und an den wenigen Orten wo nicht geraucht werden durfte, hatte es meist nichts mit Nichtraucherschutz zu tun. Eher mit Brandschutz – oder man hatte einfach keine Lust, Aschenbecher aufzustellen und leeren zu lassen.

Geld einwerfen und warten, bis Geld eingefallen ist. Gewählte Schublade aufziehen, Ware entnehmen, dann Schublade hineinschieben. Beim Versagen Geldrückgabeknopf drücken und nochmals Geldstück, besser ein anderes, einwerfen.

Bedienungsanleitung Zigarettenautomat in den Achtzigern

Dass Rauchen nicht das Gesündeste ist, war auch schon in den Achtzigern bekannt. Es kümmerte die meisten aber nicht. Oder es wurde stumpf verdrängt. Tabakwerbung war damals noch omnipräsent. Und die Tabakindustrie war seit Jahrzehnten darin geübt, den Leuten ein Ideal zu suggerieren, dem kaum jemand widerstehen sollte. Rauchen glich Freiheit. Der einsame und hartgesottene Marlboro-Cowboy, der durch die Prärie reitet und sich dabei lässig eine Kippe anzündet. Wer wollte sich mit so viel Freiheit nicht identifizieren? Die andere Marke mit dem abgebildeten Dromedar, die Camel hieß, war ähnlich kreativ. Natur, Abenteuer, Dreck und der passende Geländewagen dazu. Damit hatte man die Männerwelt im Sack. Bei Frauen zog das natürlich nicht und eine andere Taktik musste her. Folglich gab es auch konfektionierte Zigaretten für Frauen, die zwar inhaltlich kaum anders als die Männerkippen waren, aber weiblicher angepriesen wurden. Lang, dünn und leicht sollten sie sein. Da Frauen zu der Zeit eh mit Light-Produkten überschwemmt wurden, war es nur naheliegend, eine Zigarette für die schlange Figur auf den Markt zu bringen.

Erinnerung an die erste Schachtel

Damals galt noch ein Mindestalter von 16 Jahren. Ich war zwar erst vierzehn, fand aber trotzdem, dass es Zeit wird, die erste Schachtel aus dem Automaten zu ziehen und damit anzugeben. Es war Klassenfahrt, und kurz vor der Abreise steckte ich vier Mark in den berüchtigten Kasten. Das zweite Geldstück blieb natürlich hängen, aber ein kräftiger Tritt und zwei Schläge sollten helfen. Ich entschied mich für die Lucky-Strike-Marke mit dem runden roten Logo. Eigentlich gab es bei uns in der Klasse nur drei anerkannte Marken: Marlboro, Gauloises und eben Lucky Strike, für die ich mich entschied. Letztendlich wäre es aber völlig egal gewesen, für welche Marke ich mich entschieden hätte. Ich weiß noch genau, wie ich beim ersten Pausenstopp an der Raststätte mit den anderen Milchbubi-Rauchern herumlungerte und meine erste Kippe paffte. Mir war danach im Leben nie wieder so schlecht, so als hätte ich gerade aus der Kloake getrunken.

Paffende Milchbubis, St. Louis um 1910

Paffende Bubis,  St. Louis um 1910

Praktischer Nutzen des Raucher-Daseins

So wurde ich also viel zu früh zum blauen Dunst hin mesmerisiert und steckte regelmäßig mein Taschengeld in die Automaten. Hatte sich mein Organismus erst an die tägliche Ration Toxin gewöhnt, wurde mir auch nicht mehr so schnell schlecht. Ich roch zwar ständig wie ein Ascheneimer, aber das fiel kaum auf, da die anderen ja genauso rochen. Auch hatte die Zigarette in den Folgejahren ihren praktischen Nutzen. Neue soziale Kontakte ließen sich ohne weiteres schnell knüpfen. Man musste sich nur irgendwo blöd hinstellen und die Kippenschachtel zücken – so dauerte es nicht lange, bis sich weitere Gestalten dazugesellten und man im blauen Dunst über Zigarettenmarken und alltägliches Allerlei philosophierte. Besonders praktisch war es in der Disko. Selbst der Schüchternste schaffte es nach zwei Bier, die erstbeste Möpp stotternd nach Feuer zu fragen und wenig später mit etwas Glück auch abzuschleppen.

Abkehr vom blauen Dunst

Mit dem Ende des alten Jahrtausends beschloss ich für mich, dass der praktische Nutzen des Rauchens in keinem Verhältnis zu den Kosten steht. Es war eine pragmatische Entscheidung und weniger eine Entscheidung, die den Unkenrufen der Nichtraucherfraktion nachgab. Denn wenn man einmal ganz rational darüber nachdenkt, wofür man eine recht große Menge an Geld regelmäßig verbrät, fällt es irgendwie schon schwer, weiterhin dem Staat die Tabaksteuer zu schenken. Für die anregende und rauschhafte Wirkung des Nikotins? Hm, jede Tasse Johanniskrauttee mit Bachblütenzusatz schenkt wahrscheinlich mehr Rausch. Und den sozialen Nutzen ernsthaft in Betracht ziehen? Geschenkt. Blieb also nicht mehr viel an positiven Aspekten übrig.

So wurde kurz vor der Jahrtausendwende die letzte Kippe bewusst geraucht, und es folgten Wochen mit einem körperlich miserablen Gefühl. Dieser kalte Entzug verabschiedete sich dann mit den morgendlichen gelben Auswürfen, die noch nach Monaten das Waschbecken füllten. Irgendwann ging auch das vorbei, und siehe da, ich fühlte mich körperlich sogar frischer. Kurioserweise nahm ich blauen Dunst ab dann auch völlig anders wahr. Allein dieser Geruch! Wie der Teufel ums Weihwasser machte ich fortan einen großen Bogen um öffentliche Dunstwolken. Und fragte mich insgeheim, warum bei den neun Höllen ich diesen bestialischen Gestank einst so mochte.

Rauchen im neuen Deutschland

Seit dem neuen Jahrtausend hat sich in Deutschland vieles getan, besonders auf gesetzlicher Ebene. Das lag vor allem an den explodierenden Kosten für unser Gesundheitssystem, die bei geschätzt 80 Milliarden Euro pro Jahr liegen. So ist das bei uns: Kosten ziehen immer, dann ändert sich auch was.

  • Seit dem 1. Oktober 2003 sind in der EU Warnhinweise auf Zigarettenpackungen vorgeschrieben.
  • Das Mindestalter wurde auf 18 Jahre erhöht.
  • Seit 2006 sind alle Einrichtungen des Bundes, der gesamte ÖPNV sowie Schulen und Krankenhäuser rauchfrei.
  • Jeder Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um am Arbeitsplatz den Nichtraucherschutz zu gewährleisten.
  • Das Rauchen in Kneipen und Gaststätten wurde stark reguliert. In Bayern ist seit 2010 das Tabakrauchen in Innenräumen von Gaststätten und Festzelten generell nicht mehr gestattet.

Hinzu kamen Ekelbilder, die auf alle Zigarettenschachteln gedruckt werden müssen. Ob man damit jemanden vom Rauchen abhält? Wahrscheinlich genauso als wenn man auf Spirituosen „Schadet deiner Leber!“ raufkleben würde. Auch nimmt der Zigarettenkonsum seit den Neunzigern linear ab. Es scheint also weniger an den neuen Gesetzen sondern am veränderten Zeitgeist zu liegen, dass inzwischen weniger geraucht wird.

Und damit sind wir auch in der Gegenwart angekommen, wo Rauchen gar nicht mehr so cool wie damals ist – und ein paar unbelehrbare Menschen es dennoch tun. Die müssen sich nun ständig anhören, dass sie Schuld an den hohen Krankenkassenbeiträgen sind, und obendrein die bittere Pille schlucken, dass die grenzenlose Raucherfreiheit, die die inzwischen an Lungenkrebs verstorbenen Cowboy-Darsteller versprochen hatten, gar nicht mehr existiert. Und als Nichtraucher frage ich mich, warum ich mir im Supermarkt an der Kasse regelmäßig diese Horrorbilder von zerstörten Lungen, abgefaulten Beinen und gerade krepierenden Menschen ansehen muss? Das nennt sich dann wohl Kollateralschaden.

Autorenbild

Autor: Dirk

Als Kind der späten Siebziger schreibt Dirk über all die Dinge, die sich in den letzten 30 Jahren für ihn verändert haben. Dabei kramt er nicht nur alte Computer- und Videospiele wieder hervor, sondern untersucht auch die alltäglichen Dinge des Daseins. Seine zentrale Frage beschäftigt sich damit, warum gewisse Dinge der Kindheit und Jugend später einen besonderen Status erhalten.

Ein Kommentar

  • Zeus Karotte
    am 20.04.2016, 12:24 Uhr.

    Ein Hinweis:
    Man mag es heute kaum noch glauben, aber die Tabak-Marken hatten ja auch noch ihre eigene Fashionline in der Modewelt aufgezogen. Vielleicht ist das mal ein eigener Artikel wert?

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