Telekommunikation im Wandel – von der Postkarte zum Smartphone

Interpersonelle Kommunikation kennt meine Generation noch aus einer Zeit, wo diese fast nur von Angesicht zu Angesicht stattfand. Telekommunikation (Fernmit­teilung) existierte damals nur als Brief, Postkarte sowie als „der Apparat“ – jenes graue Ding von der Deutschen Bundespost mit Wählscheibe und abnehmbarem Hörer, das in der Stube neben einem dicken Wälzer mit Telefonnummern stand. Praktisch, konnte man entfernten Individuen sprachlich eine Statusmitteilung übermitteln – sofern diese sich gerade zuhause befanden. Ansonsten hatte man Pech und musste warten. Mitte der Neunziger machte die Telekom so einen Apparat für den Massenmarkt mobil und die Werbung versprach: „Telly D1 – Kuckst Du Basar, erzählst Du nach Hause!“

Der Telefonapparat für interpersonelle Kommunikation über Distanz

Der Telefonapparat für interpersonelle Kommunikation über Distanz

Auf dem Schulhof war der Dealer natürlich derjenige, der als erstes ein Handy hatte, und es dauerte nicht lange, bis jeder Wichtigtuer mit so einem Teil samt Antenne herumlief. Aber damit hatte die Revolution der Telekommunikation erst begonnen, neue Kommunikationswege standen bereits in den Startlöchern. Wenige Jahre später war die Welt voll und ganz im digitalen Wandel. Multimedia­fähige Handys und das Internet waren in aller Munde, es schossen die ersten sozialen Netzwerke, Internetforen und Chatrooms aus dem Boden. Warum also noch mit Leuten persönlich sprechen, wenn man sowas auch online kann?

Let’s have a chat … 😆

Es muss um 1993 gewesen sein. Bei Karstadt verdrahtete man in der Computer­abteilung ein Dutzend Rechner kreisförmig zu einem Netzwerk, über das jeder Textnachrichten an andere Rechner verschicken konnte. Man sah kichernde Teenager davorstehen, die unbeholfen »Hallo, wer bist du?« tippten, zaghaft über den Röhrenmonitor schauten, um herauszufinden, wer ein paar Meter weiter die Nachricht empfing. Die ältere Generation wusste nichts damit anzufangen und fragte sich, was der Quatsch denn soll. Dass die Kids gerade einen Vorläufer des später populären Online-Chats nutzten, war ihnen nicht bewusst. Wenngleich Chat-Systeme (IRC) bereits in den Achtzigern an Universitäten praktiziert wurden und die Technologie dahinter nicht neu war.

Der Internet-Chat, so wie man ihn heute noch kennt, wurde ab 1995 durch Java-Applets möglich gemacht. Musste die Webseite bei Inhaltsänderung nicht mehr neu geladen werden. In sogenannten Chatrooms ließ sich ungestört quatschen. Quasi bis die Leitung glüht – sofern das piepsende Modem nicht mal wieder streikte. Was damals wohl noch niemandem so richtig bewusst war, ist der Einfluss der Anonymität auf das soziale Verhalten. Jeder konnte ohne Konsequenz pöbeln, drohen und belästigen. Folglich musste eine Etikette her, um das Online-Verhalten zu regulieren. Weitere Gefahren wie Chatsucht und die oft gespenstische Diskrepanz zwischen der online dargestelleten Person und der Realität konnten besonders für unerfahrene Nutzer schnell zum Risiko werden.

Internetforen für alles mögliche

Ich hatte in den Anfangsjahren des Internets nicht viel mit Onlineaktivität am Hut, hatte wenig Lust und war auch zu geizig, mir so ein nerviges Modem für ein paar Webseiten in die Bude zu stellen. Mit der Studentenzeit an der Uni und der kostenfreien Nutzung des Rechenzentrums änderte sich das. Es dauerte nicht lange, bis auch ich wie alle anderen durchs Web surfte. Zwangsläufig stieß ich auf die mir bis dahin völlig unbekannte Forenwelt. Ein Sammelsurium an von jedermann verfassten Kommentaren zu bestimmten Themen, die sich ähnlich der Klorolle nach unten hin abrollten. Auch wenn die Befüllung oft ähnlich war, galt der große Unterschied, dass das Papier online nie ausging und sich Diskussionen auch über hunderte Seiten hinziehen konnten.

Diese Art asynchroner Kommunikation übte schon einen gewissen Reiz auf mich aus, ich wusste nur noch nicht wirklich etwas damit anzufangen. Und so begab ich mich neugierig auf digitale Wanderschaft. Es zog mich durch alle möglichen Foren, überwiegend als Mitleser, auch wenn mich die Themen teilweise überhaupt nicht interessierten. Die Menge an Portalen war schier unüber­schaubar, es gab so gut wie für alles ein eigenes Forum. Ufologen, Serienjunkies, Hobbybastler und Hanfzüchter hatten alle ihre eigene Parallelwelt, wo sie sich mit Gleichgesinnten austauchen konnten.

Die ersten Eindrücke haben eher erschaudert. Es wimmelte vielerorts von Streithähnen, die sich lieber angifteten als sich über ein Thema ernsthaft auszutauschen. Und wo nicht gestritten wurde, da kamen die Notoriker aus der Versenkung. Feierabend-Erleuchtete, die zu allen Themen ihren Quark als Wahrheit verteitigten. Hinzu kam das Erstaunen, dass viele Foren einen rechtsfreien Raum darstellten. Nicht im Sinne des Strafrechts, das sicherlich hier und dort auch, sondern eher im Sinne der Rechtschreibung. Interpunktion wurde ersatzlos abgeschafft und Groß- und Kleinschreibung waren Fremdwörter für die meisten Schmieranten. Wäre das alles ein Abbild der realen Welt, konnte es nur an einer Problemschule in Neukölln entstanden sein.

Erinnerung an das „PinguHuhn“-Board

Ermüdet von meiner Wanderschaft durch die Forenwelt, war ich schon dabei, die Weiterreise abzubrechen. Dann stieß ich durch Zufall Ende 2003 auf das „PinguHuhn“-Board. Ursprünglich als „Jimi’s Notepad“ bekannt, einer Sammlung an Textdateien zu allen möglichen Themen, wurde die Seite um Forum, Chat, Galerie und Grußkarten-Service zu PinguHuhn.de v2.0 erweitert. Dieses Forum machte mich neugierig. Neben der Plauderstube, der Wunderwelt der Technik, den Umfragen und der „Boxbude“ gab es noch die lyrische Ecke und die „kleine Kunstkneipe“. Letztgenannter Bereich interessierte mich, da ich zu der Zeit eigene 3D-Modelle renderte und so mein Hobby online zur Schau stellen konnte.

PinguHuhn-Board - Snapshot von 2003

PinguHuhn-Board – Snapshot von 2003

Also registrierte ich mich, um meine ersten Online-Beiträge zu verfassen. Schnell wurde klar, dass hier nicht nur Umgangston und Manieren gepflegter sind, sondern auch der Administrator einen kompetenten und sympathischen Eindruck machte. Schlicht als „Der Jimi“ bekannt, ein mit Pinguin-Avatar auftretender Admin, der gerne Steak aß und das eigene Forum aktiv und kreativ betrieb. Es folgte eine schöne Zeit, wo ich mich tagsüber im Hörsaal darauf freute, abends kurz im Forum vorbeizuschauen, um zu sehen, was sich im Laufe des Tages so getan hatte. Besonders die Einfachheit des täglichen Lebens wurde auf eine so stilvolle, angenehme und entspannte Art zelebriert, dass dieser Ort für lange Zeit zur festen Web-Adresse für mich wurde.

Die Jahre vergingen, und wie im Leben so oft, verlor ich das Board ab 2006 immer mehr aus den Augen. Die Abstände meines Vorbeischauens wurden größer. Mir fehlte die Zeit, auch wenn das die denkbar schlechteste Ausrede war. Oft hatte ich mir vorgenommen, mal wieder im Pingu-Board ein paar Zeilen abzudrücken und freundlich „Hallo“ zu sagen – es kam nur noch selten dazu. Und als es mir 2010 wieder in den Sinn kam, da war es schon zu spät. Die Seite existierte nicht mehr. Nach etwas Recherche erfuhr ich den traurigen Anlass: Der Jimi hatte 2009 nach langer Depression den Freitod gewählt.

Zur Gegenwart der Telekommunikation

Die Blütezeit der handgeschriebenen Briefe, stationären Telefone, Chatrooms und Foren ist längst vorbei. Internetforen gibt es zwar noch, und einige größere Portale haben sich tapfer gehalten. Die meisten der seit damals noch existie­renden Foren sind inzwischen aber verwaist, mehr Schatten ihrer früheren Selbst, wo sich bis auf einen Spam-Bot heute kaum noch jemand hin verirrt. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Schreiberlinge von damals nicht mehr aktiv sind. Sie sind nur weitergezogen und wurden wie die Motten vom aufkeimenden Licht der Sozialen Netzwerke angezogen.

Seit Zuckerberg die Welt mit seinem „Facebook“ überrannt hat, findet Online-Kommunikation entweder dort oder in der größten Kommentar-Jauchegrube des Internets, „YouTube“, statt. Nachdem Facebook dann auch noch „WhatsApp“ aufgekauft hatte, wurde der Konzern endgültig zum größten Datensammler weltweit. Mit gut 46 Millionen Nutzern in Deutschland ist „WhatsApp“ inzwischen bei jedem zweiten Mitbürger die Seuche der Wahl auf dem Smartphone. Und es ist schon erschreckend, wie viele Hypnotisierte mit ihrem Smartphone durch die Straßen irren und alle zwei Minuten nachsehen, ob jemand den nächsten mit Smileys verzierten Blindtext verschickt hat.

Sollte das die Zukunft der Telekommunikation sein? Glücklicherweise lehrt uns die Geschichte, dass es in allen Epochen ein Zwischenzeitalter des Verfalls gab, das sich irgendwann von alleine korrigierte. Gut möglich, dass sich in 20 Jahren niemand mehr an Facebook, Instagram, Twitter sowie den ganzen anderen Unfug erinnert, mit dem so viele Leute im frühen 21. Jahrhundert ihre kostbare Lebens­zeit verschenkt haben. Und Telekommunikation wieder zu dem wird, wozu es ursprünglich gedacht war. Als Erweiterung und Bereicherung der Kommunikation – und nicht als globale Zwangsneurose, mit möglichst vielen anderen gleichzeitig seine innere Leere zu teilen.

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Autor: Dirk

Als Kind der späten Siebziger schreibt Dirk über all die Dinge, die sich in den letzten 30 Jahren für ihn verändert haben. Dabei kramt er nicht nur alte Computer- und Videospiele wieder hervor, sondern untersucht auch die alltäglichen Dinge des Daseins. Seine zentrale Frage beschäftigt sich damit, warum gewisse Dinge der Kindheit und Jugend später einen besonderen Status erhalten.

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