Bremer Straßenbahn damals und heute – Fahrschein lösen zur Vergangenheit

Was waren die öffentlichen Verkehrsmittel früher umständlich. Die Busse der Achtziger stanken nach Abgasen und man musste sich beim Einstieg immer ein paar Stufen hinaufquälen, oft noch eine sinnfreie Schranke öffnen, um dann drinnen Platz zu nehmen. Die Straßenbahnen waren nicht viel praktischer. Haben zwar nicht wie ein Frachttanker nach Diesel gerochen, aber der Einstieg erforderte immer ein höheres Maß an Geschicklichkeit. Viel zu enger Einstieg, die Stufen alles andere als ergonomisch. War man alt oder gehbehindert, glich der Einstieg einer Strapaze. Und wenn man im Rollstuhl saß, konnte man die Mitfahrt komplett vergessen. Diese Zeiten sind nun lange vorbei, und das Stadtbild wird heute von modernen, barrierefreien und ökologisch sauberen Fahrzeugen bestimmt. In Bremen als auch den meisten anderen deutschen Städten. Kein Grund also, den veralteten Relikten noch nachzuweinen, oder?

Bremer Straßenbahn – Fahrschein lösen zur Vergangenheit

Bremer Straßenbahn – Fahrschein lösen zur Vergangenheit

In den Achtzigern – mit der „Zigarre“ durch Bremen

Bremer Kindheit in den frühen Achtzigern. Die Stadt mit den gefühlten 364 Regentagen pro Jahr und einem zum Wetter passenden, umfangreichen und gut durchdachten Nahverkehrsnetz an Omnibussen und Straßenbahnen. Öffentlicher Nahverkehr hat in Bremen Geschichte, wurde doch die erste „Elektrische“ bereits 1892 in Betrieb genommen. Von den Groß- und Urgroßeltern hat man als Kind Geschichten von der „Bremer Pferdebahn“ gehört, als die Waggons noch von Pferden gezogen wurden. Ebenso einiges aus der Vor- und Nachkriegszeit, wo man aufgrund fehlender Türen noch während der Fahrt rein- und rausspringen konnte. Das war alles weit vor meiner Zeit, und meine ersten Erinnerungen formen sich aus beigen Straßenbahnen mit roten Streifen und grauer Dachlacklierung. Das war um das Jahr 1980.

Im Fachjargon werden diese Modelle als Triebwagen der T4-Reihe oder Hansa Großraumwagen bezeichnet. Da diese Relikte aus den Fünfzigern damals nur noch auf der Linie 10 fuhren, waren sie im Volksmund als „alte Zehn“ – oder aufgrund der prägnanten Form schlicht als „Zigarre“ bekannt. Sehr deutlich war das elektrische Motorengeräusch. Ein sich in der Tonhöhe konstant steigerndes Röhren. Und natürlich das inhärente Klappern, Brummen und Rütteln während der Fahrt. Dazu in regelmäßigen Abständen ein schrilles Bimmeln und lautes Rattern der orangen Fahrkartenentwerter. Der spartanisch eingerichtete Innenraum mit den braunen Holzbänken versprühte ein sehr eigenwilliges Flair an Industrieromantik der Fünfziger. Und ich weiß noch, wie ich mich immer freute, wenn eine „alte Zehn“ der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) sich der Haltestelle näherte.

Neben den ganz alten Modellen bestand der Fuhrpark aus in den Sechzigern hergestellten GT4-Zügen. Diese waren dem alten Eisen ziemlich ähnlich, etwas breiter gebaut und im Innenraum identisch schlicht eingerichtet. Und sie waren bis 1997 im regulären Einsatz. Aus heutiger Sicht bin ich noch immer über das zeitlose Design erstaunt, das diese Baureihe formte. Als Kind hat man sich darüber keine Gedanken gemacht – eine Fahrt fühlte sich einfach nur gut an. Vielleicht ist das einer der Gründe für die vielen magischen Momente der Kindheit. Man nahm die Dinge einfach wahr, ohne sie verstandesmäßig in ihre Einzelteile zu zerlegen.

Der Stilbruch erfolgte dann mit den rot-weißen GT4d-f, die in den Siebzigern von der Firma Wegmann hergestellt wurden. Hier war Fortschritt zu spüren. Die Türen öffneten sich weitaus weniger ruppig, waren auch um einiges breiter, und das berühmte Klappern während der Fahrt fehlte fast komplett. Auch im Innenraum hatte sich einiges getan. Für die Siebziger typisch, bestand dieser aus braunen Plastikbänken mit orange-braun kariertem Stoffbezug. Optisch ansprechend wie ein Schlagerfestival, aber durchaus bequem. Die Fahrkartenentwerter waren weiterhin laut ratternde, knallorange Metallklumpen.

Erinnerung an die alten Busse

Bei den Bussen erinnere ich mich nur an zwei Modelle, die in Bremen regulär verkehrten. Der etwas ältere MAN Gelenkbus 225 und der MAN 200. Die ältere Variante war die mit der beigen Lackierung und den dunkelroten Ledersitzen. Die jüngere Generation fuhr in den rot-weißen Farben der „Bremer Speckflagge“ und hatte, wenn ich mich richtig erinnere, orange Ledersitze. Beiden gemeinsam war das Kantige und Rohe, das heute im Nahverkehr komplett verschwunden ist. Kräftig durchgeschüttelt wurde man bei jeder Fahrt. Motor und Asphalt machten den Nahverkehr ungewollt zur Karussellfahrt. Immerhin „kam man als Bremer immer gut an“ – stand ja auch als Eigenwerbung der BSAG überall gut zu lesen.

Bremer ÖPNV in den Neunzigern – Fortschritt und Verfall

Gegen Ende der Achtziger kam der Gedanke der Barrierefreiheit so langsam aber sicher auch im ÖPNV an. Und so fuhr 1988 eine kleine Sensation durch die Hansestadt: ein Niederflurbus. Für Fahrgäste mit eingeschränkter Mobilität längst überfällig. Dabei war die Technik keineswegs neu. Bereits 1976 stellte Neoplan den ersten Bus mit Niederflur-Technik vor. Die Nachfrage war aber gering und die Herstellungskosten weitaus höher als bei normalen Bussen. Es war wohl noch nicht die Zeit dafür. Zwölf Jahre später hatten die Bremer die Niederflur-Innovation sehr gut angenommen.

Und so dauerte es keine zwei Jahre, bis die erste Niederflurbahn vorgestellt wurde. Für damalige Verhältnisse optisch hochmodern, leise und komfortabel. Bremen schmückte sich 1990 großzügig mit der ersten 100%igen „Niederflur-Elektischen“ der Welt, dem GT6N. Dass bereits 1911 in New York erste Niederflur-Straßenbahnen verkehrten, und auch ein Prototyp bei der Frankfurter Lokalbahn zwischen 1924 und 1954 im Einsatz war, wurde wohl ignoriert. Wie dem auch sei, der GT6N war ein Prototyp, der als Einzelstück drei Jahre durch Bremen gondelte, bis das Nachfolger-Serienmodell GT8N ab 1993 den alten Fuhrpark immer mehr ersetzte.

Die Neunziger waren nicht nur durch technische Innovationen im Bereich der Barrierefreiheit bekannt, sondern auch durch Wirtschaftsflaute und hohe Arbeitslosigkeit, ganz besonders in Bremen. Die Zeiten im ärmsten Bundesland hatten sich geändert, das bekam man auf einigen berüchtigten Linien hautnah mit. Es verkehrte der „Drogen-Express“ im Zehn-Minuten-Takt. Die Linie 10 von Gröpelingen bis Sebaldsbrück hatte bei Bremern diesen Spitznamen schnell weg. Kein Wunder, tummelten sich im hinteren Anhänger doch immer Gestalten, denen man freiwillig nicht die Hand schütteln mochte. Wenn man Glück hatte, kochten nur ein paar Junkies „ihr Süppchen“ und dösten lethargisch vor sich hin. Hatte man Pech, roch es schon beim Einstieg wie im Pumakäfig und man bekam das Elend live, laut und in Farbe mit.

Das Klima wurde insgesamt rauer. Das zeigte sich auch bei der Fahrkartenkontrolle. Waren in den Achtzigern noch adrett in Uniform gekleidete Kontrolleure die Regel, die höflich nach dem Ticket fragten, so wurden diese peu à peu ersetzt. Durch irgendwelche Typen aus ABM-Maßnahmen, die jeden Fahrgast beim Ausstieg unter Generalverdacht stellten, den Weg versperrten und ruppig das Ticket verlangten. Bahnfahren machte in der Hansestadt immer weniger Spaß. Und das Wort „Strapazenbahn“ drehte im Volk die Ehrenrunde.

Neues Jahrtausend – Endstation Moderne?

Neues Jahrtausend und verändertes Stadtbild. Neben ein paar übrig gebliebenen GT4d-f Bahnen verkehrte eigentlich nur noch die GT8N-Reihe regulär. Auch wenn ich viele Jahre mit diesem Modell durch die Hansestadt gefahren bin, so verbinde ich heute wenig Positives damit. Richtig wohl habe ich mich in dieser Baureihe nie gefühlt. Die Innenbeleuchtung war unangenehm grell und alles wirkte gedrängt. Besonders in vollen Zügen wurde schnell klar, dass die Anordnung der Sitzplätze nicht durchdacht war. In Sachen Design eh kein Kandidat für einen Blumentopf, kam noch die fehlende Gebrauchstauglichkeit der unbequemen Sitze hinzu, die jeden Rücken nach zehn Minuten zum Schmerzen brachte.

Und wie für Bremen üblich, musste man 2007 noch einen draufsetzen und kam auf die glorreiche Idee, in der GT8N-Reihe mal eben Briefkästen in den Straßenbahnen zu platzieren. So fanden sich in den eh schon viel zu engen Fahrzeugen auch noch die blauen Klötze des privaten Briefdienstleisters Citipost. In Sachen unausgereifte Hirnfürze war die Hansestadt schon immer Tabellenführer – „Klangbogen“ und „Space Park“ lassen grüßen.

Im Jahr 2005 kam dann der Nachfolger GT8N-1 aufs Gleis. Deutlich breiter und innen viel geräumiger. In allen Aspekten, mit Ausnahme der weiterhin viel zu grellen Innenbeleuchtung, im Vergleich zum Vorgänger äußerst stimmig. Hier hatte man (fast) alles richtig gemacht. Da durch die enorme Breite von 2,65 Metern auf den meisten Abschnitten der Gleisabstand erst vergrößert werden musste, verkehrte dieses Modell in den Anfangsjahren nur auf der Linie 6 zwischen Universität und Flughafen. Inzwischen ist dieses Modell auf den meisten Bremer Linien im Regelbetrieb. Und wenn man so ein Modell aus der Nähe betrachtet, staunt man schon über die unaufdringliche, ansprechende und fast schon minimale Form in den Farben der Bremer Speckflagge.

Fazit: Was an Erinnerung bleibt

So besteht der komplette Fuhrpark in Bremen aus aktuellen oder in den Neunzigern hergestellten Fahrzeugen. Die alten Relikte sieht man nur noch auf Museumsfahren. In den meisten anderen Städten ist es ähnlich. In Mainz sieht man regulär noch ein paar kantige Überbleibsel der Siebziger auf den Schienen. Und in Karlsruhe hatte ich vor wenigen Jahren das Glück, in einem Triebwagen der frühen Nachkriegszeit im regulären Betrieb zu fahren. Aber die Tendenz ist klar, bald wird man die historischen Modelle nur noch auf alten Fotos oder im Museum bewundern können. Einerseits ist diese Entwicklung verständlich und richtig. In Sachen Emission und Barriefreiheit passen die alten Modelle, ob Straßenbahn oder Bus, einfach nicht mehr zur Gegenwart. Zeiten ändern sich, und man sollte nicht aus nostalgischem Starrsinn an etwas festhalten, das in wichtigen Dingen nicht mehr funktioniert. Andererseits vermisst man an vielen modernen Fahrzeugen auch etwas Essenzielles. Und es fällt schwer, diesen Mangel mit einfachen Worten zu beschreiben.

Und das betrifft nicht nur den ÖPNV, sondern das heutige Industriedesign für Transportmittel allgemein. Vieles wirkt generisch und austauschbar. Jegliches Kantige wird durch Bézierkurven auf Biegen und Brechen glatt geschliffen. Heraus kommt meist ein seelenloses Ding aus dem Designlabor ohne emotionale Bindung. Dabei wäre es ein Leichtes, Transportmittel heute nicht nur nutzerfreundlich zu konstruieren, sondern auch so, dass sie eine gewisse Zeitlosigkeit ausstrahlen. Und nicht wie etwas Fremdartiges einherkommen, dass aus irgendeiner schräg projizierten Zukunft herausgefallen ist. Vielleicht zählt der GT8N-1 zu den wenigen modernen Ausnahmen, wo zeitloses und ansprechendes Design mit Nutzerfreundlichkeit einher geht. Und vielleicht wird dieses Modell bei der heutigen Generation in dreißig oder vierzig Jahren gar einen ähnlichen Stellenwert haben, wie ein alter Hansa Großraumwagen für meine Generation?

Links

Freunde der Bremer Straßenbahn e.V.

Besonderer Dank geht an Horst Lüdicke und Christian Wenger für die freundliche Bereitstellung des historischen Bildmaterials.

Autorenbild

Autor: Dirk

Als Kind der späten Siebziger schreibt Dirk über all die Dinge, die sich in den letzten 30 Jahren für ihn verändert haben. Dabei kramt er nicht nur alte Computer- und Videospiele wieder hervor, sondern untersucht auch die alltäglichen Dinge des Daseins. Seine zentrale Frage beschäftigt sich damit, warum gewisse Dinge der Kindheit und Jugend später einen besonderen Status erhalten.

Ein Kommentar

  • Karl-Heinz Bruns
    am 14.12.2020, 15:48 Uhr.

    Ich schreibe Erinnerungen an meine Kindheit auf und habe ein paar Fragen.
    1.Bis wann waren hinten in den Bussen und Straßenbahnen Schaffner.
    2.Was Kostete 1962 ein Fahrschein für Kinder.
    3.Welche Straßenbahnlinie fuhr 1962 zum Flughafen Bremen.

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